E. Stauch: Wenigumstadt - Ein Bestattungsplatz der Völkerwanderungszeit

Titel
Wenigumstadt – Ein Bestattungsplatz der Völkerwanderungszeit und des frühen Mittelalters im nördlichen Odenwaldvorland.


Autor(en)
Stauch, Eva
Reihe
Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 111
Erschienen
Bonn 2004: Rudolf Habelt Verlag
Anzahl Seiten
Teil 1: 306 S., Teil 2: 258 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Raymund Gottschalk

Aus dem Gräberfeld «Wischpling» von Wenigumstadt sind 309 Gräber bekannt. Vermutlich wurde etwa die Hälfte des ursprünglichen Nekropolenareals beim Lehmabbau zerstört. Der dokumentierte Teil des Bestattungsplatzes ist über einen sehr langen Zeitraum, wenigstens zehn Generationen lang, vom mittleren Drittel des 5. Jh. bis mindestens in die 2. H. 9. Jh. benutzt worden. Die Verf. unterteilt diesen Zeitraum mit Hilfe von externen Datierungskriterien und verschiedenen Fundgruppen und Befundeigenarten des Platzes in 15 Phasen. Ein komparatives Schema auf S. 20f. mit Abb. 7 bietet eine schnelle Vergleichsmöglichkeit zu anderen Chronologiesystemen. Danach stimmt das chronologische Gerüst in Wenigumstadt bis zur 8. Phase mit der süddeutschen Chronologie überein, die U. Koch bei der Vorlage des Gräberfeldes von Pleidelsheim (U. Koch, Das alamannisch-fränkische Gräberfeld bei Pleidelsheim. Forsch. u. Ber. Vor. u. Frühgesch. Baden-Württemberg 60 [Stuttgart 2001]) vorgestellt hat. Die von U. Koch beschriebene 9. und 10. Phase sind in Wenigumstadt unterteilt (Phasen WU 9A–B und 10A–B). Die spätmerowingischen und frühkarolingischen Phasen WU 11–15 können nicht einfach an gängige Datierungen angehängt werden, da hier einige sonst häufig diskutierte chronologisch aussagekräftige Fundgattungen wie Waffen und Trachtbestandteile aus Metall fast vollständig der Beraubung zum Opfer gefallen sind. Die Untersuchung einer Reihe von nichtmetallischen Funden in Verbindung mit Befundanalysen erlaubt allerdings auch für die Phasen WU 11–WU 13 relativ scharfe Datierungen und führt damit zu einer feineren Untergliederung der Phasen Stein A und B (F. Stein, Adelsgräber des achten Jahrhunderts in Deutschland. Germ. Denkmäler Völkerwanderungszeit A 9 [Berlin 1967]). Die Phasen WU 14 (um 750–Ende 8. Jh.) und WU 15 (Ende 8. Jh.–2. H. 9. Jh.) bieten eine Erweiterung der Phase Stein C.

Zur Darstellung des relativ komplizierten Belegungsablaufes hat die Verf. ein didaktisch geschicktes Verfahren gewählt. Zwei Farbabbildungen (S. 23 f., Abb. 8 und 9) zeigen zusammenfassend den Belegungsgang der Phasen WU 1–10 bzw. WU 11–15. Die Abfolge der einzelnen Phasen ist dann noch einmal separat dargestellt, die aktuelle die jeweils vorhergehende Belegungsphase in einer Abbildung zusammengefasst sind. Diese kleinschrittige Vorgehensweise erlaubt es, Einzelheiten des veränderten Belegungsverhaltens in ihrer zeitlichen Tiefe gut nachzuvollziehen. Eine kurze und prägnante Darstellung mit einer Auflistung der Gräber und einer Beschreibung des für jede Phase charakteristischen Formengutes sowie einer Charakterisierung des in der Nekropole beobachteten zeitspezifischen Beigabenbrauchtums und der Bestattungsformen erläutert die Kartierung der einzelnen Phasen. Anschliessend folgt ein Kommentar zu Besonderheiten der jeweiligen Phase. Der Fundstoff und das Beigabenbrauchtum sowie die Bestattungssitten, die in Wenigumstadt aus chronologischer oder kulturhistorischer Sicht interessant sind, werden dann ausführlicher nach der Darstellung der zeitlichen Entwicklung und einem kurzen Kapitel zur Grösse und Entwicklung der Bevölkerung vorgestellt. Funde und Befunde sind im zweiten Teil der Arbeit im Katalog zusammengefasst und kommentiert.

Bei der Diskussion des Fundstoffes spielt die Materialüberlieferung eine wesentliche Rolle. In der Nekropole sind 87% der beigabenführenden Gräber beraubt. Während Edelmetallschmuck und Waffen meist dem Grabraub zum Opfer fielen, sind Perlen, Keramik und organische Materialien durchwegs noch vorhanden. Die Verf. hat diese verzerrte Materialgrundlage bei ihrer Auswertung als Chance verstanden und einige Objektgattungen in den Mittelpunkt ihres Interesses gestellt, die bislang oft weniger intensiv behandelt worden sind. Von den ausführlicher behandelten Materialgruppen sei hier eine Auswahl in Kürze vorgestellt.

Perlen (S. 77ff.) sind in den Wenigumstädter Phasen 5–11 in allen Mädchen- und Frauengräbern vorhanden. Bis zum Alter von 4 Jahren erhielten die Mädchen meist nur wenige Exemplare als Beigabe, ab dem 4.–6. Lebensjahr sind die Perlenausstattungen von denen erwachsener Frauen nicht mehr zu unterscheiden. In 71 Gräbern kommen insgesamt über 1000 Perlen vor, wobei die Verf. für jedes Stück 43 Einzeldaten aufgenommen hat; die Erfassung erfolgte mit dem Perlenaufnahmeprogramm ProPer. In Anschluss an die süddeutschen Perlenkombinationen A–F (nach Koch, Pleidelsheim, 162ff.) hat die Verf. ergänzend die spätmerowingisch-frühkarolingischen Perlenkombinationen G-L definiert. Mit diesen Kombinationsgruppen ist ein Zeitraum vom letzten Viertel des 7. Jh. bis wenigstens zum letzten Viertel des 8. Jh. abgedeckt (S. 65ff., zu Datierungen zusammenfassend S. 98 Tab. 4).

Im keramischen Material ist die freihandgeformte Ware des 6. Jh. von besonderem Interesse. Freihandgeformte bikonische Töpfe mit Stempelzier (Gefässgruppe 1) sowie mit Stichverzierung (Gefässgruppe 2) lassen sich aufgrund mehrerer gemeinsamer Merkmale (zusammenfassend S. 116) zum sog. Typ Wenigumstadt zusammenfassen.

Bei den unverzierten Näpfen ist im Gräberfeld von Wenigumstadt eine chronologische Differenzierung möglich. Sorgfältig geformte und geglättete Exemplare ohne Quarzsplittmagerung (Gefässgruppe 3) kommen in den Phasen 5–6 (bei Kindern noch in Phase 7) vor, während die schlecht geglätteten Stücke mit Quarzsplittmagerung (Gefässgruppe 4) in Phase 7–8 anzutreffen sind.

Handgemachte Keramik der Gruppen 1–4 lag in Gräbern, die kettenartig hintereinander angeordnet sind. Die Verf. führt dies auf gemeinsame Traditionen zurück (S. 104ff). Die Kombination von Verzierungselementen an Keramik des Typs Wenigumstadt, die im Maingebiet und dem Taubertal an mehreren Fundplätzen vertreten ist, findet sich ebenfalls im angelsächsischen England und in Ostholstein. Bei fast einem Drittel der süddeutschen Bestattungen mit Keramik des Typs Wenigumstadt handelt es sich um Brandgräber, eine Bestattungssitte, die in alemannischen Reihengräberfeldern unüblich, in Ostholstein und England aber gebräuchlich ist. Die Beigabe jenes Typs handgemachter Keramik ist also mit Zuwanderern aus diesen Gebieten zu verbinden.

Bei der scheibengedrehten Keramik mit Rädchenverzierung hat die Verf. identische Eindrücke zu Rädchengruppen zusammengefasst. Unterschiedliche Gefässe, die aufgrund identischer Rädchenzier offenbar aus der gleichen Werkstatt stammen, hat sie ebenfalls zu Gruppen zusammengefasst. Die Gefässe aus solchere Gruppen haben weitere gemeinsame Fabrikationsmerkmale, die es erlauben, andere keramische Funde an die Gruppen (Gefässgruppe 5–14) anzuschliessen. Auf dieser Grundlage gelangte die Verf. zu einer typologischen und chronologischen Entwicklung der glattwandigen verzierten Keramik. Mit dem Ende der glattwandigen Ware in Phase 11 ist in der Nekropole nur noch rauhwandige Keramik (Gefässgruppen 15–20) nachweisbar (zur Keramikchronologie zusammenfassend S. 167f.).
Ausserordentlich interessant sind die Ergebnisse zu den Kämmen des Gräberfeldes (S. 170ff.). Bei der Untersuchung der zweireihigen Kämme stellt die Verf. fest, dass sowohl Zahndichte, also die Anzahl der Zähne pro Zentimeter, als auch die Zähnungsdifferenz, also die Differenz zwischen der gröber und der feiner gezahnten Kammseite chronologisch relevant sind. Auch die Proportionen der Kämme verändern sich im Lauf der Zeit. Zweireihige Kämme wurden nach den genannten Kriterien den Kammgruppen 2–12 zugeordnet, wobei die Laufzeit der Kammgruppen meist eine, maximal zwei Phasen beträgt. Damit sind in Wenigumstadt auch Kämme relativ gut datierbar (zusammenfassend S. 196ff.).

Im vorliegenden Werk hat die Verf. zahlreiche äusserst anregende Ideen für die Diskussion verschiedener merowingerzeitlicher Fundgruppen und Befunde entwickelt. Besonders erfreulich ist, dass die Ergebnisse zudem übersichtlich aufbereitet und konzise präsentiert werden. Damit ist die Publikation nicht nur in Hinsicht auf die vorgestellten Methoden und Ergebnisse, sondern auch mit Blick auf die Darstellung sehr lesenswert.

Zitierweise:
Raymund Gottschalk: Eva Stauch, Wenigumstadt – Ein Bestattungsplatz der Völkerwanderungszeit und des frühen Mittelalters im nördlichen Odenwaldvorland. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie Band 111. Bonn 2004. Teil 1: 306 S., 125 Abb. plus 9 Fototaf.; Teil 2: 258 S. plus 174 Taf. Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 89, 2006, S. 300-301.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 89, 2006, S. 300-301.

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